ALLESVERSTÄRKER
MONA MAHALL & ASLI SERBEST

Nur in der Rockmusik diskutiert man elektronische (Audio-) Verstärker heute noch so emphatisch wie zu Zeiten der Kybernetik.
Auf wenigstens drei verschiedene Weisen –liest man auf der Reason-to-Rock Website [1]– hat der Verstärker die Rock-Ästhetik überhaupt erst möglich gemacht: Erst mit ihm konnten grosse Konzerthallen auch von relativ kleinen, auf der Bühne improvisierenden, Gruppen akustisch gefüllt werden, nicht mehr nur durch ein eingespieltes Symphonieorchester. Zudem wurde zeitgleich mit der elektronischen Verstärkung auch der Elektronische Baß erfunden, der ein solides Big Beat-Fundament für den Sound einer kleinen Gruppe bereitstellen konnte. Mit Hilfe von elektronischen Verstärkern konnte nicht zuletzt die klangliche Signatur einzelner Instrumente, vor allem der Gitarre, geradezu gesprengt werden. Seitdem gibt es praktisch alle möglichen und unmöglichen Soundarten, die in Kombination oder Konfrontation von Instrument und Verstärker entstehen. Folgt man den theoretischen Ansätzen von Reason-to-Rock, stellt der Verstärker ein wirksames Medium dar, das technische wie künstlerische Vorgaben macht. Daran schließt auch der französische Informationstheoretiker Abraham Moles an [2], wenn er den Verstärkern nicht nur praktischen, sondern auch intellektuellen Nutzen unterstellt, insofern sie neue Felder künstlerischen Schaffens erschließen können.
Wichtig in der rockmusikalischen Verstärkertheorie erscheint die Abgrenzung elektronischer Gitarre plus Verstärker von einem vollkommen elektronischen Gerät, wie einem Synthesizer: Dieser bietet zwar unendlich viele Möglichkeiten der Soundgenerierung, während die elektronische Gitarre, nach wie vor als Verlängerung des Rockmusikers, in ihren Möglichkeiten beschränkt bleibt.
Jedoch liegt gerade in diesem beschränkten System aus E-Gitarre und Verstärker die Herausforderung für den Musiker, der ästhetische Höchstleistungen dann erbringt, wenn er die Grenzen dieses Mensch-Maschine-Systems austestet und neu zu setzen versucht.
Klingt fast, als ob Rockmusik Künstliche-Intelligenz-Forschung nach Licklider betreibt, die davon ausgeht, daß Intelligenzverstärkung nicht vorrangig mit klassischer synthetischer Artificial Intelligence zu tun hat, sondern vor allem mit Mensch-Maschine Schnittstellen und Netzwerken. Wie kann man Verstärker also definieren?

Der Anthropologe und Kybernetiker Gergory Bateson hat in einem Beispiel vom informierten Hund dargelegt, was man unter einem Verstärker kybernetisch verstehen könnte: Wenn er einen Hund schwach tritt, wird dieser durch den Tritt zwar nicht bewegt, aber darüber informiert, was Bateson will. Der Hund, wenn er will, benutzt dann seine eigene Energie, um das zu tun, was er als Information verstanden hat. Batesons Energie dient dabei nur zur Steuerung der Hundeenergie [3]. Verstärker sind also Mechanismen, in welchen eine Energie mittels einer zweiten Energie gesteuert wird. Sie sind deshalb sinnvoll, weil man mit der schwachen Energie der bewegten Gitarrensaiten die starke Energie des Verstärkers steuern kann, oder mit wenig Gitarrenenergie große Verstärkerenergie nutzen kann. Der Ausdruck Verstärker verschleiert dabei, daß die Energie nicht verstärkt, sondern durch eine stärkere Energie ersetzt wird.

Intelligence Amplifier
Der britische Kybernetiker W. Ross Ashby schreibt 1956 in ‚Introduction to Cybernetics’: »Ein Verstärker ist im allgemeinen eine Vorrichtung, die mehr abgibt als man ihr zugeführt hat.« [4] Wie jedoch der Kranführer durch seine Arbeit am Steuerpult nicht direkt zum Heben des Hauptgewichts beiträgt, so arbeit kaum ein Verstärker durch direkte Vergrößerung des Eingangssignals. Die Raffinesse beim Verstärken liegt nämlich, so Ashby, in der Verlagerung des Prozesses auf zwei Ebenen. Die Trennung in zwei Ebenen und die Koppelung zweier Systeme ermöglicht Leistungsverstärkung, ohne den Energieerhaltungssatz außer Kraft zu setzen. Doch, so fährt Ashby fort, kann man dieses System der Verstärkung von unterschiedlichen Seiten betrachten: auf der einen Seite gibt es für den Theoretiker, den Konstrukteur des Krans, keine echte Verstärkung, weil er den Prozeß geplant hat und weiß, daß der Kran selbst von einer Energiequelle beliefert werden muß. Für den Praktiker, den Benutzer des Krans, dagegen, ist der Leistungsverstärker sehr real und praktisch, wenn er davon ausgehen kann, daß bestimmte Arbeiten ohne ihn gar nicht möglich sind.

Ashby interessiert sich jedoch vorrangig für einen Intelligenz-Verstärker, dessen Funktionen er nicht nur theoretisch bespricht, sondern sogar in Form eines Homöostaten realisiert [5]. Daß Verstärkung über gekoppelte Systeme auch für Regelungs- und Selektionsprozesse von großer Bedeutung ist, zeigt er am Beispiel von zwanzig Männern, die zweitausend Räume in Temperatur und Feuchtigkeit konstant halten sollen. Selbst, wenn jeder Raum mit Einstellungsgeräten ausgestattet wäre, hätten die zwanzig Männer nicht die Kapazität, alle atmosphärischen Schwankungen durch die Bedienung der Geräte direkt auszugleichen. Wenn nun aber Maschinen vorhanden wären, auf welche die Männer selbst als Regulatoren einwirkten, könnte eine Klimaanlage erstellt werden, mit der auch zweitausend Räume regulierbar wären. So könnte eine Regulation, die in einer Stufe nicht möglich wäre, in zwei aufgeteilt, machbar sein.
Grundsätzlich ist Regelung mit Selektion verbunden, oder mit Ashby gesagt: »Um einen Regler zu erhalten, ist Auswahl wesentlich.« [6] Dabei hat sich, wie oben gezeigt, die zwei- oder mehr-stufige, indirekte Methode der Ergänzung als überlegen erwiesen. Das gilt, laut Ashby, auch für das Gehirn, das als Speicher und Regulator von Vielfalt begrenzte Kapazität aufweist. Verstärkung erreicht das Gehirns durch Ergänzung aus der Umwelt: Genstruktur und Umwelt tragen dazu bei, daß das Gehirn im Laufe des Erwachsenwerdens eines Organismus an Regelfähigkeit gewinnt.
Die Frage, ob diese Verstärkung noch weiter gesteigert werden könne, hat Ashby mit einem Konzept zum Intelligence Amplifier beantwortet. Intelligenz wird dabei auf Probleme bezogen: Die Lösung von Problemen ist jedoch weitgehend eine Sache der adäquaten Auswahl, und so könnte intellektuelle Fähigkeit als die Fähigkeit zu angemessener Selektion beschrieben werden. Verstärkung wäre dann die Verstärkung der Selektionsfähigkeit in Situationen hoher Komplexität.
Es gibt also Probleme, für die man Lösungen sucht. Man weiß, schreibt Ashby, daß irgendeine Zufallsfolge mit unzählig vielen Variationsmöglichkeiten, wenn sie nur lange genug ist, alle Problemlösungen enthalten wird. Es ist lediglich eine Frage der angemessenen Auswahl. Nicht die Produktivität eines Genies ist bemerkenswert, sondern seine Fähigkeit, zwischen den Möglichkeiten zu diskriminieren.
Für einen Intelligenzverstärker müßte nun das, was physische Kraftverstärker, nämlich mechanische Maschinen schon tun, auf den Selektionsprozeß übertragen werden.
Ashby geht informationstheoretisch vor, indem er Selektionen auf die Menge von Möglichkeiten bezieht, aus denen selektiert werden soll. So kann ein Selektionsverstärker prinzipiell konstruiert werden, indem Selektionen auf zwei oder mehr Ebenen, von gekoppelten Systemen, vorgenommen werden. Wichtig dabei ist, daß die Quellen der beiden Selektionen verschieden sind. Während der Konstrukteur aus einem bestimmten Möglichkeiten-Set auswählt, wählt die Maschine aus einem anderen Set; zusammen bilden sie ein System aus zwei Teilen, dem Konstrukteur und dem (maschinellen) Selektionsverstärker, das insgesamt selektiver, das heißt, im Sinne Ashbys, intelligenter ist als ihr Konstrukteur. Solch ein System wäre überhaupt erst in der Lage, Probleme zu lösen, die über den Horizont eines Einzelnen hinausgehen.
Um die Suchdauer solcher Verfahren einzuschränken, empfiehlt es sich laut Ashby, innerhalb von Modellen, nicht in der physischen Realität zu suchen, um so auch angesammeltes Wissen in Form von Beschränkungen einbeziehen zu können.
Ashbys Homöostat kann in diesem Sinn als das erste elektronische Modell betrachtet werden, das Prozesse eines Intelligenzverstärkers simuliert. Ganz im Sinne der Kybernetik geht es bei dieser Maschine nicht um Materialien und Ontologien, sondern um Konstruktions- und Funktionsschemata, oder: wie Ashby sagt, um Verhaltensweisen.

Augmention of Human Intellect
Wenig später versuchen J. C. R. Licklider und Douglas Engelbart das Konzept des Intelligenz-Verstärkers in ihren Arbeiten zur ‚augmention of human intellect’ auszubauen, bei denen es im praktischen Sinn um Mensch-Maschine-Kommunikationen geht. Im Gegensatz zum Mainstream damaliger KI-Forschung, die von Cyborgs, von autonomen Computern mit eigenständigen kognitiven Fähigkeiten träumte, geht es Licklider und Engelbart um eine zielgerichtete Co-Evolution von Mensch und Maschine hin zu einer symbiotischen Verbindung [7].
Engelbart entwickelt dafür ein soziotechnisches System, das er als H-LAM/T-System bezeichnet, in der langen Version: Human using Language, Artifacts and Methodology in which he is Trained-System. Die Erfindung einer gemeinsamen Sprache von Mensch und Maschine, die Entwicklung von Interfaces und das Konzept einer nicht-linearen, netzartigen Verbindung sollten helfen, das Mensch-Maschine-System als symbiotisches Medium zur Verstärkung menschlicher Intelligenz zu etablieren.
Engelbarts Konzept zur Verstärkung menschlicher Intelligenz will die Fähigkeiten des Menschen erhöhen, in komplexen Situationen Probleme zu verstehen und Lösungen abzuleiten, wobei komplexe Situationen sowohl Probleme von Diplomaten, Soziologen, Physikern und als auch von Entwerfern einschließen. Es geht, laut Engelbart, um ein Wissensgebiet als Ganzes, in dem Intuition, Versuch und Irrtum, Unbegreifliches und das menschliche Gefühl für eine Situation, produktiv neben durchgesetzten Konzepten, rationalisierten Terminologien, ausgearbeiteten Methoden und leistungsstarken elektronischen Hilfsmitteln existieren. Alle diese Elemente müssten als interagierende Komponenten eines Systems betrachtet werden, das noch ohne fertiges Konzept erscheint. Die Verstärkung dieses Systems erhofft sich Engelbart durch die minütlichen Dienste eines mit einem Röhren-Bildschirm ausgestatteten Computers und durch die Entwicklung neuer Denk- und Arbeitsweisen, die dem Menschen den Zugang zur Computerleistung erst eröffnen würden.
Engelbart beschreibt als Beispiel den ‚augmented architect’ bei der Arbeit. Er sitzt an einem Arbeitsplatz mit einem Bildschirm, der als Arbeitsoberfläche vom Computer, dem Assistenten (clerk), gesteuert wird. Mit diesem kann er über kleine Tastaturen und andere Geräte kommunizieren. Er will ein Gebäude entwerfen und testet verschiedene Grundrisse und Strukturen auf dem Bildschirm aus. Mittlerweile hat er alle Vermessungsdaten eingegeben und bringt den Assistenten dazu, ihm eine Perspektive des steilen Hanghauses mit oberhalb liegender Strasse, symbolischen Abbildungen von bestehenden Bäumen und Anschlußstellen an Kanal und Strom anzuzeigen. Die Perspektive nimmt die linken zwei Drittel des Bildschirms ein. Mit einem Pointer – Engelbart ist der Erfinder der Maus – markiert der Architekt zwei Punkte, bewegt dann seine linke Hand schnell über die Tastatur und bekommt auf der rechten Seite des Bildschirms die Entfernung und die Ansicht der beiden Punkte angezeigt. Dann gibt er mit Hilfe des Pointers und der Tastatur eine Bezugslinie ein: langsam baut der Bildschirm nach und nach ein Bild auf – es entsteht eine ordentliche Baugrube im Hang. In einem Moment kann der Architekt die Szene kippen und als Grundriß betrachten, der die Baugrube ebenfalls anzeigt. Nach kurzer Überlegung gibt der Architekt über die Tastatur eine Liste von Punkten ein, die auf dem Bildschirm erscheinen, um später untersucht zu werden. Ohne die Abbildung auf dem Bildschirm zu beachten, legt er nun einige Daten fest, eine 15cm starke Decke, 30cm dicke Wände, etc. in der Baugrube. Wenn er damit fertig ist, erscheint die überarbeitete Szene auf dem Bildschirm. Eine Struktur nimmt Formen an, die er untersucht und anpaßt, immer mit Pausen, in welchen er den Assistenten nach Informationen aus dem Handbuch oder der Bauordnung fragt. Oft ruft er seine Liste mit Punkten auf, die er ergänzt und verändert. Diese Liste wächst zu einer zunehmend detaillierten und vernetzten Struktur, die den Gedankengang des Entwurfs abbildet.
Nach ein paar weiteren Eingriffen erhält er die grobe äußere Form des Gebäudes, das sich gut in die Umgebung einpaßt und das mit Materialien und Funktionen abgestimmt ist.
Der Assistent errechnet ihm Details: wird ein Auto, das im Sommer zwischen 6:00 und 6:30 auf der Strasse oberhalb entlangfährt, von in Fenstern reflektierenden Sonnenstrahlen geblendet? Wenn es um das Innere geht: welche Personen mit welchen Aktivitäten verkehren auf welchen Wegen im Haus? Wie sind Türen angeschlagen und wo wird extra Licht benötigt?
Alle diese Informationen, der Gebäudeentwurf und der assoziierte Gedankengang können auf einem Band gespeichert werden und von allen Beteiligten auf der Baustelle abgerufen werden.
Dies war nicht die einzige Vision von Computer und Architektur.
Mit fortschreitender Entwicklung von grafischen Interfaces für Computer seit den sechziger Jahren, wurden Verstärker, ‚design amplifiers’ [8], im Medium Computer ein Feld für Phantasien. Gerade für Entwurfsaufgaben schien der Computer ideal, ermöglichte er offensichtlich das, was Entwerfen grundsätzlich ausmacht: die Vorhersage oder Simulation von Architekturen, die idealerweise realisiert werden sollen.

Design Amplifier
Von Ivan Sutherlands Sketchpad [9] inspiriert, versucht Nicholas Negroponte ab den späten 1960igern den Computer zu einer ‚architecture machine’ [10] zu machen. Wenn man den Computer instruieren könnte, nicht nur ein Problem schrittweise zu lösen, sondern auch Methoden für Lösungen zu finden, oder gar Methoden für Methoden für Lösungen, dann müßte man ihm Autorenschaft zugestehen. Dann, so extrapoliert Negroponte, wäre die Kreativität der Maschine in gleichem Maße von der Initiative des Entwerfers unabhängig, wie unsere Entwürfe von der Lehre unserer Ahnen losgelöst sind. Dabei gehe es nicht unbedingt um Maschinen, die Architektur machen, vielmehr um Maschinen, die über Architektur lernen und über das Lernen über Architektur lernen könnten. Die angestrebte Partnerschaft zwischen Architekt und Maschine wäre eine zwischen intelligenten Systemen, die gemeinsam ein evolutionäres System formieren könnten. Als Assistent sollte die architecture machine lernen, Ziele zu assoziieren und wie man diese erreichen könnte, sie sollte menschliche Idiosynkrasien verstehen, sie sollte lernen, sich zu verbessern und ethisch zu handeln. Dann erst, so Negroponte, bekämen ihre rechnerischen und informatischen Fähigkeiten eine Relevanz jenseits von reinen Werkzeugen, die gängiges Entwerfen nur modisch und schneller, selten aber billiger machen.
Maschinen assistierte Architektur würde sich an zwei Problemen abarbeiten: Architekten können einerseits nicht mit großen Problemen umgehen, weil diese zu komplex sind. Andererseits ignorieren sie kleine Probleme, weil diese zu speziell, zu individuell und zu trivial für sie sind. Die Konsequenz sei, daß in den USA (1968) weniger als fünf Prozent der Wohngebäude und weniger als ein Prozent des Stadtraums in die Hände professioneller Entwerfer gegeben werde. Die Ironie, so Negroponte, liegt in der Tatsache, humane Lebensräume nur mit Hilfe von Maschinen zu erreichen, die man bisher als inhumane Geräte betrachtet hat. Jedoch können gerade diese Geräte auf kleine, individuelle, sich ständig ändernde Bits von Informationen eingehen, die nicht nur die Individualität jedes Stadtbewohners, sondern auch die Kontinuität der Stadt widerspiegeln.
Es stelle sich jedoch die Frage, ob eine Maschine aus diesem Meer von Daten Antworten ableiten könnte. Negroponte kannte zu diesem Zeitpunkt keinen Zweifel: man soll sich nur das Theorem von McCulloch und Pitts ins Gedächtnis rufen, nach dem ein mit bestimmten, formalen, regenerativen Loops konstruierter Roboter, in der Lage wäre, aus einer endlichen Menge von Prämissen jede legitime Folgerung abzuleiten. Auch Ashbys oben beschriebene Aussage, daß in einer ausreichend langen Zufallssequenz, jede Antwort zu finden sei, bestätigt Negroponte in seinem theoretischen Konzept einer Architekturmaschine.
Fünf Montageteile würde die Maschine enthalten: einen heuristischen Mechanismus (heuristic mechanism), einen Routine Apparat (rote apparatus), ein Bearbeitungssystem (conditioning device), ein Auswahlsystem (reward selector) und eine Funktion zum Vergessen (forgetting convenience).
Die Heuristik dient der Einschränkung des Suchraums, so daß die Maschine zwar keine Lösungen geschweige denn der optimalen garantieren kann, jedoch Zeit sparen hilft. Eine Evolution der Maschine läge vor allem im Ausbau des heuristischen Mechanismus in Zusammenarbeit mit dem Architekten, der mehr und mehr Probleme und Situationen eingeben würde. Nach einer Weile würden Wiederholungen vom Routinemechanismus übernommen, um redundante Aufgaben wie Parkplätze, Aufzüge, etc. zu lösen. Wie der Mensch bei täglichen Anforderungen durch Gewohnheiten unterstützt wird, sollte der Computer, ähnlich einem Pavlowschen Hund, seine eigenen konditionierten Reflexe entwickeln, um Standardprobleme der Architektur lösen zu helfen.
Das Bearbeitungssystem springt dann ein, wenn bekannte Informationen verarbeitet werden müssen. Das Auswahlsystem sollte im Sinne des Entwerfers, der darauf entweder glücklich oder enttäuscht reagieren müßte, Ziele und Ergebnisse überwachen. Die letzte und wichtige Funktion des Vergessens sorgt dafür, daß obsolete Informationen über die Zeit hinweg verschwinden.
Diese Architekturmaschine wäre im Büro aufgestellt, würde 24 Stunden am Tag arbeiten und wäre mit einem Server verbunden, der Rechenleistung, Speicherplatz und Kommunikation mit anderen Architekten gewährleisten sollte. Langfristig sollte diese Maschine ‚Augen’ und ‚Ohren’ haben, um selbst Formen wahrnehmen, Kriterien sammeln und dann eigenständig Formgenerierung leisten zu können.

Diese enthusiastische Vision nimmt Negroponte, geläutert durch die erste große Welle partizipatorischer Theorie in der Architektur, fünf Jahre später zurück, um sie durch das heruntergefahrene Konzept eines Design-Verstärkers zu ersetzen [11] . Diesmal sollte die Maschine keine Replikation eines paternalistischen Architekten sein, der vorgibt, was richtig und was falsch ist. Bürgerbeteiligung war das Schlagwort der frühen siebziger Jahre und Negroponte will einen Entwurfsverstärker entwickeln, der als Ersatz-Du Intentionen jedes einzelnen Benutzers ausarbeiten und technisch begutachten sollte. Informierte Maschinen würden als echte Verlängerung des zukünftigen Bewohners agieren.
Dabei sollte dieser das Entwerfen sozusagen im pädagogisch sinnvollen Spiel erlernen; er brächte das Talent desjenigen, der am besten weiß, wie er wohnen möchte und der Computer brächte die Kompetenz zur Realisierung.
Natürlich – und hier deutet sich an, warum sich Architekten nicht auf Dauer mit diesem Ansatz anfreunden konnten – wäre es, Partizipation hin oder her, ein Spaß, so Negroponte, wenn man eigene Nutzungsanforderungen in formalem Jargon berühmter Architekten, vielleicht sogar Vitruvs oder Viollet-le-Ducs, umsetzen könnte.

Happiness Machinery

Kann man bis hier von einer verstärkten Intelligenz und Kreativität ausgehen, fehlt dem Allesverstärker tatsächlich nur noch der Zugriff auf Glücklichkeit. Dementsprechend interpretiert der türkische Kybernetiker Ali Irtem 1961 Ashbys Konzept nicht ohne Ironie und Subversion. Er stellt folgende Frage: wenn intellektuelle Leistung verstärkt werden kann, warum nicht Glücklichkeit? Und jeder, der irgendwann mal verliebt war, wüßte, daß sie verstärkt werden kann.
Irtems Konzept basiert auf der Annahme, daß das Maß an Glücklichkeit als Maß der Anpassungsfähigkeit eines kybernetischen Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt begriffen werden könnte – entsprechend dem Maß an Leistungsfähigkeit eines mechanischen Systems [12].
Um Diskussionen mit Autoren von Liebesromanen aus dem Weg zu gehen, definiert er umgehend: das Maß an Glücklichkeit ist der Quotient von allem zu einem bestimmten Zeitpunkt Erreichten und allem zu diesem Zeitpunkt bewußt oder unbewußt Gewünschtem. [img.]
Anders gesagt hängt Glücklichkeit davon ab, in wie weit unsere Wünsche zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt sind. Dies gilt auch für den Fall, in dem man nur von etwas träumen will, ohne es zu besitzen. Um die Glücklichkeit so weit wie möglich zu steigern, gibt es, so Irtem, zwei Möglichkeiten: entweder muß man das Erwünschte so klein wie möglich, oder das Erreichte so groß wie möglich machen. Interessant daran sei, daß diese Alternativen offensichtlich die beiden gegensätzlichen Strategien der östlichen und der westlichen Welt auf deren Suche nach dem Glück repräsentieren. Der Osten habe die Optimierung der Gleichung versucht, indem er den Nenner, das Erwünschte, mehr und mehr verkleinerte, und im Nirvana das Ziel der indischen Philosophie fand. Der Westen hat dagegen versucht, die Gleichung durch zunehmende Steigerung des Zählers zu optimieren, indem er alles Erreichbare zu erreichen versuchte. Das Ergebnis der westlichen Haltung zur Glücklichkeit hat jedoch dazu geführt, daß, in dem Moment, in dem alle Wünsche erfüllt waren, sofort neue auftauchten. Dies würde, so Irtem, die Gültigkeit der allgemeinen Formel jedoch nicht beeinflussen.
Die Schwierigkeit, Glücklichkeit zu messen, liege, laut Irtem, in der quantitativen Unzugänglichkeit unbewußter Wünsche. Viel wäre erreicht, wenn man die essentiellen Variablen des Menschen im Sinne des Homöostaten Ashbys verstehen würde, dessen Nadeln maximale Glücklichkeit anzeigen, wenn sie senkrecht, stehen, sich also in einem stabilen Zustand des Gleichgwichts befinden. Der Homöostat erlangt Stabilität durch Adaption, indem er Irritationen von Aussen durch Variation von Zufalls- und Durchnittswerten im Inneren kontert.
Glücklichsein hängt also von der intellektuellen Fähigkeit ab, entweder Wege zu finden, um die größten Wünsche zu erfüllen, oder die Wünsche so zu reduzieren, daß sie erfüllbar werden. Laut Ashby ist Intelligenz eine Frage der angemessenen Auswahl, die durch Regulierung erreichbar ist. Wenn wir unsere Wünsche so regulieren, daß wir sie erfüllen können, oder, wenn wir ein perfekt reguliertes System darstellen, so daß alle Wünsche erfüllt werden können, sind wir voll und ganz glücklich. Um unsere Glücklichkeit zu verstärken, müssen wir nur unsere Fähigkeit zur Regulierung verstärken, wenn nötig, mit Unterstützung von zusätzlichen Regulationsgeräten. Diese sind bei Männern oft durch eine Frau repräsentiert, in die sie sich verlieben.

System X kann als Mann betrachtet werden, der nur glücklich ist, wenn Bedingung p erreicht wird. Diese Bedingung kann in X allerdings noch nicht erfüllt werden. Deswegen müssen wir mit Hilfe eines zusätzlichen Regulators die Glücklichkeit von X verstärken: dazu müssen wir ein zweites System S – S könnte eine Frau sein – über die Kanäle G und U mit X verbinden, so daß sich X und S gegenseitig beeinflussen. Das neue System S kann Gleichgewicht oder Glücklichkeit erlangen, wenn die Bedingung q erfüllt ist. Die Verbindung G wird q in S dann erfüllen, wenn die Glücklichkeitsbedingung p in X erfüllt ist; Jeder Teil bedingt also die Glücklichkeit des anderen. S wird entsprechend ihrer Abhängigkeit alle Zustände in X ablehnen, die nicht Bedingung p erfüllen. Erst wenn p erfüllt ist, kann sich das gesamte System stabilisieren. Die Glücklichkeitsbedingung p wird also in zwei Stufen erreicht, einmal durch die Verbindung von X mit S über G und dann über den Prozeß, der automatisch zwischen X und S stattfindet.
Aus diesen Gedanken zieht Ali Irtem sein orientalisches Fazit: »A man’s or woman’s capacity as a regulator cannot exceed his or her capacity as a channel of communication. Anyway, the amplification rate of happiness by coupling, including marriage, seems to be limited. Probably for this reason team-work is recommended, though polygamy and harems are not allowed in many countries. Nevertheless, machines and human beings must come together, in order to increase their intelligence and to amplify their happiness.« [13]

Schema des Intelligenz- und Glücklichkeitsverstärkers (nach W. Ross Ashby und Ali Irtem) [img.]

[1] www.reasontorock.com/elements/electricity.html
[2] Abraham Moles, Informationstheorie und Ästhetische Wahrnehmung (frz. Original 1969), Köln 1971
[3] Gregory Bateson: Geist und Natur (engl. Org. 1979), Frankfurt am Main 1995, S. 126 f
[4] Ross Ashby: Introduction to Cybernetics, (original: London 1956), London 1965, S. 381
[5] Ross Ashby: Design for an Intelligence-Amplifier, in: C. Shannon, J. McCarthy (Hg.), Automata Studies, Princeton 1956, S. 215-233
[6] Ross Ashby: Introduction to Cybernetics, S. 388
[7] J.C.R. Licklider: Man-Computer Symbiosis, in IRE Transactions on Human Factors in Electronics, volume HFE-1, 1960
http://groups.csail.mit.edu/medg/people/psz/Licklider.html
Douglas Engelbart: Augmenting Human Intellect: A Conceptual Framework, Stanford Research Institute, Menlo Park 1962, in: N. Montfort, W. Wardrip-Fruin, The New Media Reader, Cambridge, Mass. 2003
[8] Auch wenn Herbert Simon nicht explizit von Verstärkern spricht, so ist seine Entwurfstheorie doch stark von Ashbys Ansätzen beeinflußt. Hier finden sich, wie später auch bei Ranulph Glanville, Thesen zur Verstärkung von Entwurf und Kreativität.
Herbert Simon, The Sciences of the Artificial, 1969
Ranulph Glanville, Variety in Design, 1994
http://www.univie.ac.at/constructivism/papers/glanville/glanville94-variety.pdf
[9] Ivan Sutherland hatte für seine Dissertation die erste komplette Anwendung von GUI und CAD programmiert.
[10] N. Negroponte: Toward a Theory of Architecture Machines, in: Journal of Architectural Education, Vol. 23, No.2, 1969, 9-12
[11] N. Negroponte: From Soft Architecture Machines, in: N. Montfort, W. Wardrip-Fruin, The New Media Reader, Cambridge, MIT Press, 2003, 354-366
[12] Ali Irtem: Happiness amplified cybernetically, in: Jasia Reichahrdt (Hg.): Cybernetics, Art, and Ideas, London 1971, S. 72 ff
[13] Ali Irtem: Happiness amplified cybernetically, 1971, S. 72 ff